PALMSONNTAG
Wie mag es jemanden ergehen, der gefeiert und verehrt wird, dem die Welt zu Füßen liegt, der sich am Zenit der Anerkennung, des Erfolgs, der Bestätigung, ja der Macht befindet – und wenige Tage später wird er aus seinem innersten Kreis verraten, von den besten Freunden verleumdet und eines Verbrechens angeklagt – ja welches Verbrechens eigentlich? Egal wie der Vorwurf lautet, darauf kommt es gar nicht an. Wichtig ist, dass dieser Mensch erniedrigt wird, vorgeführt, vernichtet und mit ihm seine Botschaft von Frieden, Brüderlichkeit und Gewaltlosigkeit, von innerer Befreiung. Wer ist schon bereit, sie in dieser Konsequenz anzunehmen und zu leben?
In der Bibel fehlt es nicht an dramatischen Geschichten, in denen es um Hass, Verrat, Verfehlungen, Leben und Tod geht. Kain und Abel, Noah und die Sintflut, Josef und seine Brüder, der Kindermord des Herodes – es gibt keine Abgründe menschlichen Handelns, die nicht irgendwo ihren Niederschlag gefunden hätten. Doch keine Episode bringt die Höhen und Tiefen des Lebens so komprimiert zum Ausdruck wie die Woche vor Ostern. Am Palmsonntag noch schien Jesus am Ziel angekommen, die Menschenmassen feierten ihn – nicht als Kriegsherrn stolz zu Pferd, sondern als lang ersehnten Friedensfürsten. Dass er auf einem Esel in die Stadt Jerusalem einritt, tat seinem Triumph keinen Abbruch, die Leute rollten ihm „den roten Teppich aus“ mit Palmenzweigen und den eigenen Kleidern. Fünf Tage später forderten sie seinen Tod.
Jesus erlag am Palmsonntag nicht dem Rausch des Erfolgs. Ihm lag nichts an einer Herrschaft über andere, er kannte die menschlichen Schwächen und wusste, dass sich selbst die Jünger von ihm abwenden würden. Er verurteilte niemanden – auch nicht am Kreuz. Nur sein konsequenter Weg in den Tod konnte die Menschen zur Besinnung bringen und zu seiner Botschaft des Friedens zurückführen. Seine Auferstehung nimmt uns die Last der Schuld und schenkt die Möglichkeit des neuen Anfangs – jeden Tag aufs Neue.