Gemeindebrief

Gemeindebrief – Februar 2023

Renate Meinhof findet Tagebuch in Kasnevitz

Familie Meinhof wohnte während der Dienstzeit des Vaters in Putbus in der Pastorenwohnung im südlichen Anbau der Schlosskirche. Heute findet sich dort das Pfarrbüro und die Kindertagesstätte Sankt Martinsgarten. Foto: Maria Ulbrich

Tagebücher – vor allem die von bereits verstorbenen Menschen – sind wie ein Fenster in die Vergangenheit. Wir gewinnen einen Blick auf subjektiv erlebtes Leben in anderen Zeiten. Ein solches Fenster öffnet sich durch das Tagebuch der Maria Meinhof. Ihre Enkelin Renate Meinhof hat es in einem Karton auf dem Dachboden des Hauses ihrer Eltern, in das diese nach der Pensionierung des Vaters gezogen waren, entdeckt.

Die Tagebuchschreiberin Maria Meinhof, geboren 1885, betreute mit ihrem Mann, dem Pastor Ernst Meinhof, als Pfarrersfrau die Kirchengemeinde Ducherow im Kreis Anklam. Ihre Notizen beschreiben die Gräuel der letzten Kriegstage im April 1945 und die der ersten Nachkriegsmonate bis März 1946 in ihrem Umfeld. Dabei hielt sie ihre Beobachtungen und Eindrücke ganz direkt für ihre Kinder fest. Da wusste sie noch nicht, dass von den sechs Söhnen drei den Krieg nicht überleben würden. „Meinen lieben, lieben Kindern“ widmete sie ihr Tagebuch und formuliert weiter: „Ich weiß gar nicht, ob Ihr, oder wer von Euch noch am Leben ist: Jedenfalls fühle ich mich Euch innerlich so recht nahe, während ich dies niederschreibe.“

Maria Meinhof dokumentierte die große Not der Flüchtlingstrecks in Vorpommern. Unzählige Menschen wurden im Pfarrhaus aufgenommen und trotz entstehender großer Enge und eigener knapper Ressourcen als willkommene Gäste betrachtet. Aber die beherzte Frau tat weit mehr. Sie organisierte als Krankenschwester, ohne Abschluss sogar, mutig die Versorgung von Verwundeten und anderen Erkrankten und war auch selbst für sie unermüdlich tätig. In sachlichem Ton schilderte sie Verbrechen durch Soldaten der Roten Armee, verheerend im und für den Ort. Gerade die nüchterne Art zu berichten, nimmt den Leser, die Leserin mit in die schreckliche Realität, die die Bevölkerung, vor allem Frauen und Kinder erleben und erdulden mussten.

Die Enkelin fand das Tagebuch im Jahr 2002. Vater der in Putbus aufgewachsenen Journalistin ist der jüngste Sohn von Maria Meinhof, Friedrich-Karl Meinhof, der 1963 zum Pastor an der Schlosskirche in Putbus berufen worden war. Renate Meinhof schuf aus den Aufzeichnungen der Großmutter ein nicht leicht verdauliches, aber gerade deshalb lesenswertes Buch. Sie ergänzte die hinterlassenen Berichte mit Geschichten zu im Tagebuch genannten Personen, die sie durch Interviews mit ihnen erkundet hatte. Die
Lebensberichte der Großmutter und die Erzählungen der Enkelin sind beeindruckend einfühlsam ineinander verwoben.
Das 2005 erschienene Buch ist derzeit leider nur noch antiquarisch zu erwerben.

Renate Meinhof
Das Tagebuch der Maria Meinhof
April 1945 bis März 1946 in Pommern – Eine Spurensuche u. a. Hoffmann und Campe

Mehr zur Autorin unter:
https://de.wikipedia.org/wiki/Renate_Meinhof, abgerufen am 20. 7.2022
Weiterer Lesetipp:
Renate Meinhof: Auf verlorenem Posten. Süddeutsche Zeitung 11. April 2022

Es grüßt Sie herzlich
Jutta Neuper