Der Würgeengel wütete auch in Putbus
„Warum müssen solche guten, braven Kinder voller Gesundheit und Lebensfreude durch eine verheerende, schreckliche Krankheit, für die kein Arzt ein Mittel weiß, hinweggerafft werden?“, fragte sich 1891 der Lehrer Franz Andresen aus Schleswig-Holstein. Wie viele andere Jungen und Mädchen war seine Tochter Theodora Catharine an Diphtherie gestorben. In dieser Zeit forderte die Krankheit in Deutschland mehr als 50.000 meist junge Menschenleben. Auch zahlreiche Putbusser Kinder erlagen der weit verbreiteten Seuche, die im Volksmund „Würgeengel der Kinder“ hieß. Erkrankte Menschen erstickten oft qualvoll. Theodora und ihr verzweifelter Vater hatten tagelang versucht, den nahenden Tod zu besiegen. So erging es auch dem Putbusser Gymnasiallehrer Victor Loebe und seiner Frau Rosa. Im Mai 1883 verloren sie ihre 12-jährige Tochter Grete. Neben der Sorge um das kranke Kind fürchteten sie, die Geschwister könnten sich bei ihr anstecken. Außerdem wohnten noch Internatsschüler vom Pädagogium bei Loebes, die umgehend nach Hause geschickt wurden.
Grete wurde von ihren Geschwistern isoliert. Der Vater machte der kranken Tochter Eisumschläge um den Hals und gab ihr Eisstückchen zum Lutschen. Die Mandeln wurden mit Hilfe eines Pinsels mit Medizin befeuchtet. Die Mutter versorgte die anderen Kinder. Zwei Tage nach dem Krankwerden von Grete wachten die beiden Schwestern Käthe und Anne Marie weinend mit Halsschmerzen auf. Sofort eilte der Vater zur Apotheke und besorgte neue Pinsel. Die erstgeborene Tochter Grete verlor ihren Kampf gegen die Infektion drei Tage nach Ausbruch der Krankheit. Ihr Herz hatte versagt. „Der liebe Gott wollte sie uns nicht lassen“, notierte ihr Vater in sein Tagebuch. „Wir werden es nie, nie vergessen, mein Kind, mit welcher Zärtlichkeit du Papa und Mamachen geliebt hast“, schreibt er weiter. Nach langem Bangen und viel organisatorischem Aufwand – die Kinder mussten voneinander getrennt und versorgt werden – schafften es Käthe und Anne Marie, wieder gesund zu werden. Jetzt wurde der Sohn Victor beängstigend schwer krank. Er überwand die Infektion, brauchte jedoch sehr lange, um sich zu erholen.
Gretchen lebte für immer im Herzen ihrer Familie weiter, wie auch Mariechen, die kleine Schwester, die acht Jahre vor ihr gestorben war. Jedes Jahr am Heiligen Abend, bevor die Kerzen am Weihnachtsbaum angezündet wurden und die Bescherung begann, gingen die Loebes auf den Friedhof am Mühlenberg. Sie schmückten die Gräber der Geschwisterkinder und gedachten ihrer. Ihr tiefer Glaube wusste sie behütet in der Ewigkeit Gottes. Der Schmerz aber blieb.
Der zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelte Diphtherie-Impfstoff war endgültig in den frühen 1920er Jahren frei von Nebenwirkungen. Da hier und heute fast alle Kleinkinder immunisiert werden, ist die Seuche nahezu verschwunden.
Es grüßt Sie herzlich
Jutta Neuper